Brikada - Magazin für Frauen

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Para-Reiterin Dr. Elinor Switzer: „Ich kann nur raten, bewusst zu leben, jeden Tag zu genießen, und Träume soweit wie möglich zu verwirklichen!“

19.10.2015

 

 

Mit enormer Disziplin und bewundernswertem Ehrgeiz fand sie den Weg ins (fast) normale Leben wieder zurück. Geholfen hat ihr dabei insbesondere der (Paralympische) Reitsport. Ihr Schicksal stimmt sehr nachdenklich, gleichwohl ist es aber auch ein ermutigendes Beispiel für Schlaganfall betroffene Menschen.
 

 

Die in Göttingen geborene Elinor Switzer (Jahrgang 1975) mit amerikanischer Staatsangehörigkeit studierte nach dem Abitur zunächst an der Tierärztlichen Hochschule Hannover wo sie nach zwischenzeitlichem Schlaganfall 2005 promovierte. Ihre Hobbys sind: Westernreiten, Lesen (ca. 80% Englische Bücher), Reisen und Backen.

 

Wie war das mit Ihrer Erkrankung und sind Behinderungen geblieben?

Im Januar 2001 hatte ich im Alter von 25 Jahren in Folge einer autoimmun-bedingten Entzündung der Blutgefäße einen Schlaganfall. Danach war ich zunächst im Rollstuhl und mußte unter anderem wieder laufen lernen. Da der Schlaganfall im Bereich des Kleinhirns war, habe ich vor allem noch Gleichgewichtsprobleme und Koordinationsschwierigkeiten im linken Arm und Bein. Ich kann nicht richtig rennen oder Fahrrad fahren. Zum Ausgleich kann ich aber mittlerweile sehr schnell gehen ;-).

 

Wie hat sich die Erkrankung auf Ihr Privat- und Berufsleben ausgewirkt?

Nach dem Schlaganfall war ich über ein halbes Jahr arbeitsunfähig und bin dann aber trotz Bedenken der Ärzte vorerst stundenweise wieder in meine Arbeitsstelle als Tierärztin an einer Lehrklinik zurückgekehrt. Zunächst hat sich meine Arbeit von der Behandlung von Patienten auf Forschung und Lehre umverlagert und nach Abschluß meiner Promotion habe ich dann bewusst einen Karrierewechsel ins Verlagswesen angestrebt. Nun bin ich seit zehn Jahren Redakteurin einer medizinischen Fachzeitschrift.

 

Da ich nach dem Schlaganfall im Rollstuhl war, war mein vorrangiges Ziel, wieder selbständig leben zu können. Meine Familie hätte mich nicht pflegen können und ich wollte nicht in betreutes Wohnen oder ein Pflegeheim gehen. Daher war ich in der Reha hochmotiviert und sehr stolz als ich drei Monate später wieder zu Fuß und alleine in meine Wohnung zurückkehren konnte.

 

Wie werden Sie mit dieser Erkrankung seelisch fertig?

Der Schlaganfall war wie ein Blitzeinschlag. Am Vortag war ich noch im Schwimmbad gewesen und auf einmal konnte ich noch nicht einmal mehr ohne Hilfe auf Toilette gehen. Es hat nach dem Schlaganfall lange gedauert bis ich darüber sprechen konnte, ohne in Tränen auszubrechen. Es war ein schwerer Schlag für mein Selbstbewußtsein bzw. das Vertrauen in meinen eigenen Körper. Dieses Vertrauen habe ich bis heute nicht wieder vollständig zurückerlangt. Viele Dinge kosten mich beim ersten Probieren viel Überwindung und Mut und ich bin dann um so stolzer und glücklich, wenn es geklappt hat. Zum Beispiel: das erste Mal Schwimmen im Meer, mit dem Patenkind auf eine Rutsche gehen, ohne Sattel im Schritt auf einem Pferd sitzen, einen steilen Abhang hinunterlaufen usw.

 

Können Sie den Brikada-LeserInnen vorbeugende Ratschläge geben?

Nein vorbeugende Ratschläge kann ich keine geben, da mein Schlaganfall auch kein „Klassiker“ war. Ich habe nie geraucht, fast nichts getrunken und mich ziemlich gesund ernährt. Wozu ich raten kann ist, bewußt zu leben und Chancen wahrzunehmen solange man gesund ist und Dinge, die man gerne tun möchte, nicht auf später zu verschieben. Es kann schnell alles anders sein.


Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Para-Reitsport für Sie?

Nach dem Schlaganfall konnte ich die Sportarten, die ich vorher gemacht hatte (Baseball, Fahrrad fahren, Schwimmen) nicht mehr ausüben und hatte plötzlich das Bedürfnis, wieder zu reiten. Als Jugendliche hatte ich im Reitverein Stunden genommen, war aber während des Studiums kaum noch Reiten gewesen. Da ich den linken Arm nur bedingt benutzen konnte, dachte ich, dass eine einhändige Reitweise wohl besser für mich geeignet sei. Außerdem schien mir der Westernsattel mehr Halt zu geben. So recherchierte ich damals im Internet und fand einen privaten Westernstall bei Hannover, der bereit war, es mit mir zu versuchen und mir Unterricht zu geben. Als ich dann berufsbedingt ein paar Jahre später nach Stuttgart ging, fing ich an regelmäßiger Westernreitunterricht zu nehmen und hatte eine Zeitlang sogar ein Leasing-Pferd. Zu dieser Zeit gab es dann auch die ersten Zusammenkünfte von Westernreitern mit Behinderung in Deutschland, und 2008 war ich Gründungsmitglied und dann vier Jahre lang die 1. Vorsitzende des Parawesternreiter e.V. Seit 2013 die Disziplin Para-Reining ihr Debut hatte, widme ich mich vornehmlich dieser Westernreitdisziplin, die auf dem (noch sehr langen) Weg ist, paralympisch zu werden.

 

Das Reiten (und die Physiotherapie, die ich seit meinem Schlaganfall wöchentlich weiterführe) haben mich körperlich soweit fit gemacht, daß man mir mittlerweile meinen Schlaganfall auf den ersten (und auf den zweiten) Blick nicht mehr anmerkt. In der Wettkampfklassifizierung im Para-Reitsport bin ich von meiner körperlichen Einschränkung mittlerweile im Grade 4, d.h. ich habe die geringste körperliche Einschränkung und reite dieselben Aufgaben wie Nicht-Behinderte.

 

Welche Ziele peilen Sie im Para-Reitsport an?

Da ich kein eigenes Pferd habe, reite ich immer fremde, geliehene Pferde, die ich oft auch nach nur kurzem Probereiten auf Para-Turnieren vorstelle. Das ist für mich eine große Herausforderung, die mir aber viel Freude bereitet, und ich lerne von jedem Pferd. Mein Ziel ist es, mich stetig zu verbessern. Noch bin ich im Reining-Sport neu (zuvor war ich in den Disziplinen Trail, Western Horsemanship und Pleasure gestartet), und ich habe noch viel zu lernen.

 

Ist es mehr ein Mannschafts- oder ein Einzelkämpfersport für Sie?

Reitsport gilt gemeinhin eher als Einzelsport, aber ich würde mich sehr freuen, einmal für mein Land auf internationalen Wettkämpfen in einer Mannschaft zu starten. Auch spielt der Zusammenhalt mit den anderen Reitern (ob mit oder ohne Handicap) auf den Trainingscamps und den Turnieren eine große Rolle und man freut sich immer auf die gemeinsame Zeit zusammen. Es ist selbstverständlich, daß man sich untereinander hilft. Außerdem ist Reiten ja eigentlich doch ein Teamsport, da ja Reiter und Pferd ein Team sind. Das ist wie beim Tanzen. Einer (der Reiter) führt, aber die Harmonie und der Rhythmus muß da sein und man darf seinen Tanzpartner nicht behindern.

 

Bildtext: Dr. Elinor Switzer kommentiert: "Auf dem Bild bin ich übrigens mit dem Pferd zu sehen, das Ute Holm bei der Pressekonferenz auf der Americana 2015 dabei hatte."



Beteiligen Sie sich an Wettkämpfen?

Als Vorsitzende der Parawesternreiter e.V. habe ich angefangen auf Wettkämpfen zu starten, da wir alle großen Westernreitverbände in Deutschland dazu gebracht hatten, Klassen für Reiter mit Handicap auf ihren Turnieren auszuschreiben. Auch wenn es für mich immer etwas stressig ist, ein Leihpferd zu organisieren, macht mir der Wettkampf (auch wegen der gemeinsamen Zeit mit meinen Freunden) viel Spaß. Ich muß gestehen, daß ich auch recht ehrgeizig bin.

 

Da es in Deutschland bisher zwar Trainingscamps aber noch keine Wettbewerbe in dem noch jungen Sport Para-Reining gegeben hat, bin ich im vergangenen Jahr insgesamt dreimal auf Turnieren in den USA in Klassen für Reiter mit Behinderung gestartet. Damit hat sich für mich ein Traum erfüllt, den viele Westernreiter in Deutschland haben. Die USA ist nun einmal das Heimatland des Westernreitsports und somit auch des Reining-Sports. Für nächstes Jahr habe ich auch schon einige Termine ins Auge gefaßt. Die Teilnahme an den Wettkämpfen in den USA gibt mir die Möglichkeit, Erfahrung in diesem Sport zu sammeln und ist eine besondere Herausforderung, die ich liebe.

 

Ist der Para-Reitsport ein kostspieliges Hobby?

Selbst ohne Abstecher in die USA ist der Reitsport natürlich kostspielig. Da sind einerseits die Kosten für das Pferd und sein Unterhalt, Trainingsstunden, ggf. der Transport des Pferdes zu diesen Trainingseinheiten, Tierarztkosten etc. Andererseits dann auch die Kosten für Kurs- und Turnierteilnahme. Für Para-Reiter kommen dann in der Regel noch weitere Kosten hinzu, da viele von ihnen auf Helfer angewiesen sind, die dann ja auch beim Turnier untergebracht und verpflegt werden sollen.

Meine Reisen in die USA sind natürlich ein Sonderfall. Dafür spare ich schon länger und habe diese finanzielle Belastung ganz bewußt auf mich genommen. Dafür habe ich ja aber kein eigenes Pferd, so daß bei mir die monatlichen Kosten für den Pferdeunterhalt entfallen.

 



Wird Ihrer Meinung nach seitens der Verantwortlichen im Para-Reitsport genügend für mobilitätseingeschränkte Menschen getan?


Viele Reitställe sind natürlich nicht auf Menschen im Rollstuhl eingestellt, so daß es oft schwierig ist, eine geeignete Reitanlage für einen Lehrgang zu finden. Da man für den Reining-Sport einen besonderen Boden in der Reithalle benötigt, schränkt dies die Möglichkeiten u.U. noch weiter ein. Die Integration auf den Turnieren ist meines Erachtens gut. Die Para-Klassen werden im Westernreitsport ganz normal auf den Westernturnieren ausgeschrieben, so daß dann Reiter mit und ohne Handicap gemeinsam auf dem Abreiteplatz, am Kaffeestand und in den Stallungen unterwegs sind. Diese Inklusion tut allen gut. Dieses Jahr gab es in Deutschland auch schon zwei inklusive Reining-Kurse, bei denen Reiter mit und ohne Handicap gemeinsam trainierten.

 

Gibt es dort Ihrer Meinung nach noch Optimierungspotenzial?

Leider ist die Zahl der aktiven Para-Westernreiter in Deutschland recht überschaubar, so daß Reiter oft weite Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen, um zu Kursen und Turnieren im Para-Reitsport zu kommen. Ich glaube, daß mehr Öffentlichkeitsarbeit, Offenheit der Reitverbände für diese neue Disziplin sowie Flexibilität und Einsatzbereitschaft v.a. auch von Seiten der Reiter gefordert sind.

 

Welche persönlichen Ziele peilen Sie für Ihren weiteren Lebensweg an?

Ich hoffe, daß ich Para-Reining in Deutschland weiter voran bringen und selbst einmal in Deutschland Wettkämpfe in diesem Sport mitreiten kann. Ansonsten versuche ich, jeden Tag zu genießen, bewußt zu erleben, und meine Träume soweit mir dies möglich ist zu verwirklichen.
Die Fragen stellte Brigitte Karch

 

Weitere Informationen:
www.dkthr.de/de/leistungssport/para-reining
www.parawesternreiter.de