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Susanne Stöcklin-Meier: Werte-Erziehung mit Herz und Verstand

10.12.2008

Am Schluss der Ausstellung "Grimms Märchen in Bildern aus aller Welt" veranstaltete die Internationale Jugendbibliothek München in Schloss Blutenburg die Präsentation des neuen Buchs der Schweizer Schriftstellerin Susanne Stöcklin-Meier "Von der Weisheit der Märchen: Kinder entdecken Werte mit Märchen und Geschichten". In ihrer lebhaften, herzlichen Art hatte sie schnell die Sympathien der Zuhörerschaft gewonnen, zumal sie humorvoll und lebendig Erlebnisse aus Kindheit und Jugend erzählte. Dr. Isolde Bräckle führte mit der Bestseller-Autorin, die eine der bekanntesten deutschsprachigen Pädagoginnen ist, nach ihrer Lesung ein Gespräch.

Susanne Meier wurde 1940 in Wangen an der Aare in der Schweiz geboren und ist mit zwei Geschwistern in einem 300 Jahre alten Bauernhaus aufgewachsen, wo sie eine herrliche, unbeschwerte Kindheit erlebte.  Schon ihre Eltern, der Schriftsteller Gerhard Meier und seine Frau Dorli, regten die Phantasie der Tochter durch die Erzählung spannender Geschichten an. Sie selbst wandte sich dem Beruf der Kindergärtnerin zu, heiratete den Lehrer Peter Stöcklin und bekam zwei Töchter, die mittlerweile erwachsen sind. Mit ihrer Familie lebt Susanne Stöcklin-Meier heute in Diegten im Kanton Baselland, wenn sie nicht gerade auf Vortrags- oder Lesereisen ist oder pädagogische Kongresse besucht.
Denn sie ist eine vielgefragte Expertin auf Fortbildungs- und Elternabenden und in der Erwachsenenbildung, hält jährlich rund 100 Vorträge, ist langjährige Mitarbeiterin im Ausschuss "Spiel Gut" in Ulm, im Kuratorium der "Internationalen Pädagogischen Werktagung" der Universität Salzburg und des Kongresses der ICCP (International council for children). Mit einem Wort: eine Fachfrau par excellence!
Man fragt sich, wie sie die Zeit gefunden hat, neben diesen Tätigkeiten eine Fülle von Kinder- und Spielbüchern zu verfassen, die mit über einer Million verkauften Exemplaren in ganz Europa erschienen sind und zum Teil Standardwerke für die Kindererziehung wurden. Bei ihren Mitmachbüchern setzt sie vor allem Spiel, Sprache, Bewegung und Humor ein. Sie richten sich an Eltern, Großeltern, Spielgruppen, Kindergärten und Grundschulen. Gerne beantwortete die Autorin einige Fragen zu ihrer Arbeit.

Mit Ihrem Buch "Was im Leben wirklich zählt – mit Kindern Werte entdecken", das mittlerweile elf Auflagen mit über 55´000 verkauften Büchern erreicht hat, wurden Sie in Fachkreisen und bei einer großen Leserschaft berühmt. Wie definieren Sie Ihr Wertesystem?
Im Mittelpunkt einer ganzheitlichen Werte-Erziehung für Kinder stehen fünf große Werte: Wahrheit, richtiges Handeln, Frieden, Liebe und Gewaltlosigkeit. Auch die "Goldene Regel" sollte jedes Kind kennen und versuchen zu leben: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!
Kinder sind darauf angewiesen, dass wir Erwachsene ihnen Werte vermitteln. Werte geben Klarheit, Schutz und Sicherheit. Kinder, die in einem sozialen Umfeld mit überschaubaren Grenzen aufwachsen, haben erwiesenermaßen weniger Angst, sie entwickeln mehr Vertrauen in sich und ihre Umwelt. Sie werden durch die täglichen Auseinandersetzungen mit den Familien-, Kindergarten- und Schulregeln auf eine gute Weise konfliktfähig. Aus den in der Kleinkindzeit erworbenen Wertvorstellungen entsteht das Fundament ihres späteren Weltbildes, der Wertewelt schlechthin. Das funktioniert jedoch nur, wenn Eltern und Erzieher sich dieser Herausforderung einer sinnvollen Wertevermittlung stellen. Damit Werteerziehung nicht bei gut gemeinten Appellen stehen bleibt, muss sie konkret, praktisch und lebensnah sein.

Wie wichtig ist in der Werte-Erziehung das gute Beispiel der Erwachsenen?
Wer von seinen Kindern gutes Benehmen wie Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit will, muss es vorleben und als klare Regel in der Familie einführen. Eltern und Erzieher sollten sich immer wieder bewusst machen, dass Kinder durch Nachahmung lernen. Sie kopieren unser Verhalten, doch gleichzeitig prägt sie unsere Art des Umgangs mit ihnen. Schon kleine Kinder können auch das Prinzip begreifen: "Was du willst, das man dir tut, das tue du auch den anderen". Der rechte Umgang mit Menschen, Material, Medien, Geld, Zeit, Tieren und Pflanzen entwickelt sich durch Vorleben, Hinschauen, Reagieren. Zur Wahrheitsliebe zum Beispiel kann man Kinder erziehen, indem man nur verspricht, was man auch halten kann und sie auch nicht zu kleinen Notlügen anstiftet. Und vor allem: Wir sollten viel Zeit mit ihnen verbringen und ihnen so zeigen, wie wertvoll sie für uns sind und dass wir sie bedingungslos lieben.

Ihr neuestes Buch "Von der Weisheit der Märchen" geht ebenfalls von den fünf großen Werten aus und wählt die Märchen und Geschichten danach aus: klassische Märchen aus allen Kulturen der Welt, aber auch moderne, zeitnahe Geschichten. Was bezweckten Sie damit?
Märchen und Geschichten eignen sich gut dafür, weil die Kinder dort anhand der Märchenfiguren die Konsequenzen erleben können, wenn man sich auf eine bestimmte Weise verhält. Auf uns Erwachsene mögen viele der klassischen Volksmärchen holzschnittartig wirken: Das herzensgute, fleißige Mädchen ist am hübschesten und darf am Schluss den Prinzen heiraten, die faule Stiefschwester ist hässlich und wird bestraft. Aus unserer Lebenserfahrung wissen wir, dass die Welt oft komplexer ist. Kinder sind jedoch gerade dabei, bestimmte Zusammenhänge zu erkennen. Die häufig schwarz-weiß aufgebaute Welt der Märchen hilft ihnen, sich zu orientieren.

Märchen sind Seelennahrung für Groß und Klein. Mit Märchen und Geschichten betreten wir das Reich der Träume, der Fantasie, der unbegrenzten Möglichkeiten und der Wunder. Das Verständnis für Gut und Böse wird ebenso geschärft wie das Bewusstsein für gelebte Werte. Viele Kinder und Erwachsene lieben die lebensbejahende, wohltuende, kreative und heilsame Kraft, die in Märchen steckt. Meine Märchen- und Geschichtensammlung ist deshalb für "Kinder von 4 bis 99" gedacht. Und sie soll Erwachsene dazu ermuntern, Kindern regelmäßig Märchen zu erzählen, vorzulesen oder ihnen Märchen- und Geschichtenbücher in die Hand zu geben. Ich selbst erinnere mich gerne an die spannenden Geschichten, die meine Mutter in der Sonntagsschule unseres Dorfes zu erzählen wusste.

Gibt es unter Fachleuten nicht auch ein Für und Wider in Bezug auf Märchen und was antworten Sie ihren Gegnern?
In Volksmärchen liegen weises Wissen und allgemeingültige menschliche Werte verborgen, die sich wie ein goldener Faden durch alle Kulturen und Zeiten ziehen. Sie wurden über Generationen hinweg mündlich überliefert. Sie galten jedoch in der Gegenwart lange Zeit als grausam, überholt und moralisch. Mit seinem Buch "Kinder brauchen Märchen" löste der Kinderpsychiater Bruno Bettelheim in den siebziger Jahren den Beginn einer grundlegenden Wandlung im Verständnis der Volksmärchen aus und sie kehrten zurück in Familien, Kindergärten und Grundschulen. Wenn wir vor den "bösen Märchen" zurückschrecken, dann schrecken wir gleichsam vor uns selbst zurück. Märchen zeigen aber doch deutlich sichtbar: das Gute kann und wird siegen. Sie sind eine Aufmunterung, für das Gute zu kämpfen und sich mit dem Bösen – auch in sich selbst – auseinanderzusetzen.

Was war Ihnen bei der Auswahl der Märchen noch wichtig?
Weil unsere Welt immer globaler und multikultureller wird, finde ich es wichtig, Märchen von anderen Völkern, Ländern und Erdteilen kennen zu lernen. Sie können helfen, in Kindern den Sinn für Toleranz und gutes Zusammenleben zu wecken. Ich habe monatelang Märchen und Geschichten aller Kulturen gesammelt. Meine Auswahl reicht von Norwegen bis Afrika, von China bis Nordamerika.

Zur ganzheitlichen Bildung gehören im christlichen Abendland auch biblische Geschichten, die "urmenschliche Erfahrungen" und Lebensweisheiten vermitteln; sie durften in meinem Buch nicht fehlen.

Lebensnahe Alltagsgeschichten, auch solche von Kindern erzählte, sind ebenfalls in mein Buch eingestreut. Sie sollen zum spontanen Erzählen anregen. Das Berichten von kleinen Familienerlebnissen fördert das soziale Bewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl. In unserer Familie funktionierte diese Art von Erzählen am besten am Esstisch, bei gemeinsamen Hausarbeiten oder bei Spaziergängen. Schön, wenn sich an das Erzählen oder Vorlesen von Märchen ein Rollenspiel oder ein gemeinsames Gespräch über die Geschichte entwickelt. Auch beim Zeichnen können Kinder die unterschiedlichen Werte und Gefühlslagen altersgemäß erleben und darstellen. Dafür gibt es in meinem Buch zahlreiche Praxisanregungen, außerdem Spielideen, Gesprächsimpulse, Lieder, Sprichwörter und Fragen. Damit werden die Märchen und Geschichten und ihre Inhalte lebendig erfahrbar.

Märchen hinterlassen Spuren im Denken, in der Sprache und in der Seele. Sie prägen das Wertebewusstsein bis ins Erwachsenenalter hinein. Sie geben Mut und Hoffnung, denn ihre "Helden" finden immer die Kraft, große Herausforderungen zu meistern.

Nun noch eine mehr persönliche Frage: Wie verbringen Sie Ihre Freizeit am liebsten, haben Sie das ein oder andere Hobby?
Mein Garten, der in den letzten 40 Jahren entstanden ist, liegt mir sehr am Herzen. Da erhole ich mich, lese, staune und tanke Kraft zum Schreiben. Ich liebe die Farben und Formen der Blumen. Das ganze Jahr hindurch blüht etwas. Ich beobachte die vielen Vögel, Igel, Blindschleichen und die bunten Schmetterlinge ….Mit der Zeit sind fünf lauschige Plätze entstanden: eine märchenhafte Rosenlaube, ein verwunschener, plätschernder Teichbrunnen, ein stilles Wasser, das zum Verweilen anregt. Auf der südlichen Terrasse wird man zum Sonnenanbeter und unter dem schattigen Kastanienbaum sitze ich mit der Familie, Freunden und Freundinnen zum Plaudern und Genießen.

Das Gespräch führte Isolde Bräckle

Weitere Informationen:
www.stoecklin-meier.ch

(Der Link wurde am 10.12.2008 getestet.)