„Vor 200 Jahren sah das völlig anders aus“, erklärt Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). „Für Weihnachtsgeschenke haben unsere Vorfahren längst nicht so viel Geld ausgegeben, zumal über den Geschenktermin ja auch durchaus keine Einigkeit herrschte“"
Ein Blick in die Werbeanzeigen um 1800 bestätigt: Im Einzelhandel war man von der absatzsteigernden Wirkung des Weihnachtsfestes noch nicht überzeugt. Das Neujahrsfest wurde wesentlich stärker beworben als Weihnachten. „Auch der Nikolaustag, der für die katholischen Familien auf dem Land lange Zeit als der wichtigste Kinderbescher-Termin galt, war den Geschäftsleuten in Münster keine Werbeanzeige wert“, so Cantauw.
Zu Neujahr konnte man vor allem Papierwaren absetzen. Die Kinder schrieben sogenannte Neujahrsbriefe, die sie den Eltern und Paten überreichten. Der Einzelhandel bot dafür aufwändig gestaltete Briefbögen an, auf die die Kinder - nicht selten als Teil des Schulunterrichts - in Schönschrift ihre Wünsche für das kommende Jahr niederschrieben. Von den auf diese Weise Beschenkten erhielten sie zum Dank kleine Gegengeschenke in Form von Süßwaren.
Außerdem boten die Geschäftsleute sogenannte Visitenbillets an. „Das waren grafisch gestaltete Visitenkarten ohne Namensaufdruck, die man selbst beschriften konnte und bei Neujahrsbesuchen an der Tür abgab“, erläutert Cantauw. Papierwaren wie Zauberbücher oder die in Seidenstoff und Papier gebundenen Prophezeiungen, die beispielsweise der Buchbinder Joseph Niemann aus Münster 1798 anbot, verweisen auf den Charakter von Silvester und Neujahr als Lostage. „Der Wunsch, einen Blick in die Zukunft tun zu können, war (und ist) gerade zum Jahresanfang sehr stark. Ob das in solchen Prophezeiungen Vorhergesagte auch eintreffen würde, war weniger wichtig als ihr Unterhaltungswert“, ist sich Cantauw sicher.
Bildtext (r.): Weihnachtsbescherung um 1970. Foto: LWL
Ab 1820 Nikolaus- und Weihnachtswerbung
Erst in den 1820er Jahren begannen die Geschäftsleute in Münster auch das Nikolaus- und das Weihnachtsfest zu bewerben. Anfangs waren es wiederum vor allem die Buchbinder, die sich einen erhöhten Absatz für ihre Papierwaren erhofften. „Sehr bald sprangen aber auch die Konditoren auf den Zug auf und boten Bonbonnieren, Königsberger Marzipan oder Apfelsinen und auch die Pomeranzen genannten Bitterorangen zum Kauf a“", weiß Cantauw. In wohlgesetzten Worten empfahl man sich dem „geneigten Zuspruche des Publikums“. „Spannend ist auch, dass man völlig ungeniert mit dem Adjektiv 'billig‘ umging. Viele Werbeanzeigen weisen darauf hin, dass die Produkte 'um billigen Preis zu haben‘ waren. Das Wort 'billig' hat erst sehr viel später den deutlich negativen Touch erhalten, der ihm heute anhängt“, so Cantauw.
Importwaren galten auch vor 200 Jahren schon als besonderer Luxus, mit dem man Eindruck machen konnte: Königsberger Marzipan, Nürnberger Lebkuchen, Triester Maraschino, Wiener Neujahrsbillets, französisches Papier oder zumindest englisch gepresste Verzierungen sollten begüterte Kunden ansprechen, die sich bei den Geschäftsinhabern eine Auswahl an Waren nach Hause liefern ließen, um in aller Ruhe eine Entscheidung darüber zu treffen, was man kaufen wollte.
Mehr Auswahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Die Bandbreite der angebotenen Waren vergrößerte sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis dahin waren es fast ausschließlich Papier- und Süßwaren, für die geworben wurde. In der Kaiserzeit ist die Produktvielfalt dann allerdings schon enorm: Kerzen, Parfüm, Stoffe, Rasiermesser, Lotterielose, Regenschirme, Musikalien und Instrumente, Schmuck, Tischdecken, Reiseplaids, Nähmaschinen, Weihnachtskrippen, Zigarren, Topfpflanzen, Spazierstöcke, Pfeifen, Handschuhe, Hosenträger, Schlittschuhe und sogar Badewannen oder Waschbretter wurden den 'geneigten‘ Kunden zu Weihnachten ans Herz gelegt.
„Angesichts der Fülle an 'Geschäftsempfehlungen‘ vergisst man leicht, dass sich ein reichhaltiger Gabentisch natürlich nur in den Häusern der Adeligen und wohlhabenden Bürger fand, wo man längst dazu übergegangen war, nicht nur die Kinder und die Dienstboten zu beschenken. Die Kinder der armen Leute gingen aber oft nahezu leer aus. Sie mussten sich mit selbstgestrickten Handschuhen, einem Stutenkerl oder selbstgemachtem Holzspielzeug begnügen“, so Cantauw.
Quelle: LWL
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Titelbild: Diesen Neujahrsbrief schrieb Maria Wortmann 1873. Foto: LWL