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Linden-Museum Stuttgart: „Azteken“ - unter kulturell-gesellschaftlichem Aspekt

21.10.2019
Bildunterschrift (Collage v.l.): „Azteken“-Plakat; Inés de Castro, Direktorin, Projektleitung Linden-Museum, Kuratorin Doris Kurella, Martin Berger, Nationaal Museum van Wereldculturen (Niederlande). Foto: © Brigitte Karch; Räuchergefäß in Gestalt der Wasser- und Fruchtbarkeitsgöttin Chalchiuhtlicue. © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropología, Secretaría de Cultura – INAH. Bildhintergrund: Weltweit erhältliche mexikanische Lebensmittel wie etwa Mais, Bohnen, Paprika, Amarant, Tomaten, Avocados.

Stuttgart. - In der internationalen Museumslandschaft dürfte es einer Sensation gleichen: Inés de Castro, Direktorin Linden-Museum Stuttgart, und ihrem Team gelingt es, mit der Großen Landesausstellung eine neue Sichtweise auf die Kultur und Gesellschaft der Azteken zu richten. Faszination auf allen Ebenen, denn die Ausstellung kann zu recht Einzigartigkeit und Faszination für sich reklamieren.

Die Große Landesausstellung Baden-Württemberg „Azteken“ (bis 3. Mai 2020 zu sehen) eröffnet einen neuen, vertiefenden Blick auf die Kultur der Azteken. Sie erhält, 500 Jahre nach der Landung des spanischen Eroberers Hernán Cortés in Mexiko, eine besondere Würdigung. Auch lassen jüngste archäologische Ausgrabungen ein Umschreiben von Kultur und gesellschaftlichem Dasein der Menschen jener Zeit wahrscheinlich notwendig erscheinen.

Die Durchführung des Projektes beanspruchte mehr als eine zweijährige Vorbereitungszeit. Doris Kurella kuratierte engagiert und kenntnisreich die Ausstellung. In einem Interview (siehe: www.facebook.com/brikada) spricht sie über die vermutete, noch völlig unerforschte Rolle der Frau in der aztekischen Kultur und Gesellschaft.

Hauptanlass der Ausstellung sind zwei einzigartige Federschilde und eine kostbare Grünsteinfigur, die sich heute in den Sammlungen des Landesmuseums Württemberg befinden und erstmals im Kontext der aztekischen Kultur zu sehen sind.

Bildunterschrift: Federschild Mäander und Sonne Holz, Rohrgeflecht, Vlies, Rohhaut, Federn vom Eichhornkuckuck und Schwarzkopftrogon, vermutlich Schwarzkehltrupial, Azurkotinga, Ridgewaykotinga, lovely cotinga, Flammentangar D: 75,5 cm, H: 2,5 cm Mexiko, aztekisch, um 1520 Landesmuseum Württemberg Stuttgart © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch
Bildunterschrift: Federschild Mäander Holz, Rohrgeflecht, Vlies, Rohhaut, Federn vom Eichhornkuckuck und Schwarzkopftrogon, vermutlich Schwarzkehltrupial, Azurkotinga, Ridgewaykotinga, lovely cotinga, Flammentangar D: 71 cm, H: 5,8 cm Mexiko, aztekisch, um 1520 Landesmuseum Württemberg Stuttgart © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch
Bildunterschrift: Figur des Gottes Quetzalcoatl Grünstein, Koralle oder Spondylus, H: 22,8 cm; B: 12 cm, Mexiko, aztekisch, Spätphase, frühes 16. Jh. Landesmuseum Württemberg Stuttgart © Landesmuseum Württemberg, Foto: Hendrik Zwietasch

Die Ausstellung ist in 7 Themenwelten gegliedert (hier ein Auszug):

Modul 1 Die Azteken
500 Jahre nach der Invasion 1519 drangen der Spanier Hernán Cortés und seine Truppen in das aztekische Reich ein. Diese Invasion gipfelte 1521 im Untergang des größten indigenen Imperiums in Mittelamerika. 500 Jahre nach diesen Ereignissen versucht diese Ausstellung, die Geschichte der Azteken aus ihrer eigenen Perspektive zu erzählen, von außen beginnend und in das Herz des Reiches vordringend. Das aztekische Reich wurde von einem Bündnis aus drei Stadtstaaten regiert: Tenochtitlan, Tlatelolco und Tlacopan. Es war ein multiethnisches Imperium, das viele verschiedene Kulturen, Sprachen und Völker umfasste. Alle diese Völker zollten ihren Herren Tribut.

Der Name „Azteken“ selbst ist eine Schöpfung europäischer Wissenschaftler. Die Bewohner von Tenochtitlan, der Hauptstadt, nannten sich „Mexica“. Sie sprachen die Nahuatl-Sprache. Obwohl sich die Europäer große Mühe gaben, lokale Kulturen zu zerstören, sorgte der indigene Widerstand dafür, dass viele Aspekte dieser großen Zivilisation bis heute erhalten blieben. Einheimische Sprachen, Lebensmittel und Rituale haben sich im Laufe der Jahrhunderte erhalten und werden heute von Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gesprochen, gegessen und praktiziert.

Bildunterschrift: Die Inselstadt Tenochtitlan. Foto: © Brigitte Karch

Modul 5 Stadt und Palast: Leben im Luxus Tenochtitlan war 1519 eine der größten Städte der Welt mit einer geschätzten Bevölkerung von etwa 200.000 Einwohnern. Sie befand sich auf einer Insel im See von Texcoco und wurde so konzipiert, dass jedes Haus mit Kanu zugänglich war. Staudämme mit Straßen sicherten die Verkehrsanbindung an das Festland. Aquädukte versorgten die Stadt mit frischem Wasser. Zahlreiche Märkte sorgten für ein reichhaltiges Angebot an Lebensmitteln und Waren. Darunter war der größte Markt des Reiches, der Markt von Tlatelolco. Hier wurden Produkte aus ganz Mesoamerika gekauft und verkauft. Die Eliten lebten im Zentrum der Stadt in großem Luxus. Materialien von großem Wert wie Quetzalfedern, Gold und Obsidian erreichten Tenochtitlan als Tributzahlungen, wo sie in Luxusobjekte verwandelt wurden. Der Palast des Huei tlatoani, des Herrschers des aztekischen Reiches, war sowohl seine Wohnung als auch das administrative Zentrum des Reiches.

Bildunterschrift: Dreifußschale mit Rassel Keramik, Pigment H: 14,1 cm; B: 25 cm; T: 25 cm Mexiko, aztekisch-mixtekisch, Mitte 14. Jh. bis 1521 Collection Nationaal Museum van Wereldculturen, © Nationaal Museum van Wereldculturen, Foto: Irene de Groot
Bildunterschrift: Anhänger Gold Mexiko, mixtekisch-aztekisch, Mitte 14. Jh. bis 1521 L: 6 cm; B: 2,9 cm; H: 4 cm Ministerie van de Vlaamse Gemeenschap, Collectie Paul en Dora Janssen-Arts, MAS, Antwerpen, © MAS, Antwerpen, Foto: Hugo Maertens, Brügge

Weitere Module befassen sich mit den Themen: Kosmos, Gesellschaft, Krieg, Stadt und Palast, Templo Mayor.

Modul 7 Das Erbe führt in die Gegenwart
Das Erbe der Azteken wird auf vielfältige Weise vereinnahmt. Die zeitgenössische mexikanische Kultur ist aus indigenen und europäischen Wurzeln gewachsen. Indigene Religionen und Christentum, traditionelle und moderne Medizin, indigene Sprachen und Spanisch existieren nebeneinander und sind zu einer einzigartigen Kombination verschmolzen. Mexiko selbst ist nach den Mexica benannt. Adler und Kaktus, die Gründungssymbole von Tenochtitlan, stehen auf der mexikanischen Flagge.

Bildunterschrift: Die Ausgrabungen von Eduardo Matos Moctezuma und die vollständige Freilegung des Templo Mayor im Jahr 1978 © Proyecto Templo Mayor, Foto: Anonym
Bildunterschrift: Freilegung der monolithischen Steinskulptur der Göttin Tlaltecuhtli am Fuße des Templo Mayor © Proyecto Templo, Mayor, Foto: Leonardo López Luján

Kulturgüter Mexikos, die sich weltweit in Museen oder privaten Leihgebern befinden, werden mexikanischer Seite nicht zurückgerufen. Eine ungewöhnliche Sichtweise. Im Gegenteil man betrachtet die Objekte gewissermaßen als Lebewesen und sieht sie unter dem Aspekt als wären sie Botschafter mexikanischer Kultur.

Jeden Tag entdecken Archäologen neue Überreste des mexikanischen Lebens. Heute sprechen mehr als 1.500.000 Menschen Nahuatl. Viele leben in ländlichen Gemeinden und Städten in Mexiko, aber auch in den Vereinigten Staaten gibt es Sprachgemeinschaften. Fehlende Möglichkeiten haben viele Menschen zur Migration veranlasst. Dennoch konnten die indigenen Völker ihre Sprache und viele Aspekte der traditionellen Kultur in einem Umfeld von Migration und Globalisierung bewahren. Trotz 500 Jahren Kolonisierung und Diskriminierung ist die indigene mexikanische Kultur definitiv noch sehr lebendig.

Eine vollendete Kunst

Die aztekischen Steinskulpturen bestechen durch ihre naturgetreue und detailverliebte Darstellungsweise, häufig kombiniert mit Kalenderzeichen, Charakteristika bestimmter Federarbeiten und Goldschmuck lassen erahnen, welche Pracht die Eroberer am Hofe des Aztekenherrschers vorfanden.

Bildunterschrift: Blick in den zweistöckigen Ausstellungsraum im Linden-Museum mit Mictlantecuhtli Keramik, Pigment H: 176 cm; B: 80 cm; D: 50 cm Mexiko, aztekisch, Spätphase, zwischen 1430 und 1502 Museo del Templo Mayor, Mexiko-Stadt, D.R. Secretaría de Cultura – INAH © D.R. Archivo Digital de las Colecciones del Museo Nacional de Antropología, Secretaría de Cultura – INAH. Foto: © Brigitte Karch

Den farbenfrohen Bilderhandschriften ist ein eigener thematischer Abschnitt in der Ausstellung gewidmet. Als Besonderheit präsentiert die Ausstellung neueste Forschungs- und Ausgrabungsergebnisse. Das Ausgrabungsprojekt Templo Mayor sowie das angeschlossene Museum stellen erst kürzlich entdeckte, noch nie ausgestellte Opfergaben zur Verfügung.

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Hochkarätige Leihgeber
„Azteken“ ist eine Ausstellung des Linden-Museums Stuttgart in Kooperation mit dem Nationaal Museum van Wereldculturen (Niederlande). Sie präsentiert rund 150 hochkarätige Leihgaben aus mexikanischen und europäischen Museen. Leihgeber sind das Museo Templo Mayor und das Museo Nacional de Antropología in Mexiko-Stadt, die Musées Royaux d’Art et de Histoire (Brüssel), das National Museum of Denmark (Kopenhagen), das Tropenmuseum (Amsterdam), das Museum Volkenkunde (Leiden), das Museum der Kulturen Basel, das Weltmuseum Wien, das Museum am Rothenbaum (Hamburg), das Museum Weltkulturen (Mannheim), das Rautenstrauch-Joest-Museum (Köln) und Schloss Friedenstein (Gotha).

Zur Ausstellung erschien im Hirmer Verlag der Katalog „Azteken“. Hg. Inés de Castro, Doris Kurella, Martin Berger in Kooperation mit dem Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH), Mexiko. 360 Seiten, 395 Abbildungen in Farbe, 21 x 27 cm, gebunden, 34,90 Euro, ISBN: 978-3-7774-3377-6

Die Ausstellung „Azteken“ Linden-Museum Stuttgart (12.10.2019 – 03.05.2020) wird anschließend gezeigt im Weltmuseum Wien (24.06.2020 – 10.01.2021) und Museum Volkenkunde, Leiden (18.02.2021 – 19.08.2021).
(Quelle: Linden-Museum Stuttgart)
Brigitte Karch

Weitere Informationen:
lindenmuseum.de
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