Lesesonntag: Ruma ist ein Lehnwort aus dem Englischen (room), das in die Sprache der Maori, der neuseeländischen Ureinwohner Eingang gefunden hat. Als „Wonderland of the Pacific“ bewarben Reiseveranstalter in den 20-er-Jahren die Inseln. Heute lautet der Slogan „100 % Pure“ – Natur pur und die Natur ist es, welche die Schmuckgestalterinnen und Schmuckgestalter zu all‘ den wundervollen in München gezeigten Ausstellungsstücken inspiriert.
Einen wichtigen Teil beansprucht das Meer. Der Maori-Schöpfungs-Mythos beschreibt, wie der Halbgott namens Maui die nördliche Insel Te OIka-a-Maui (Fish of Maui) an die Oberfläche gebracht hat. Der Künstler Warwick Freeman, einer der Ausstellungskuratoren, greift Mauis Fisch auf und gibt das Thema in vier Anhängern wieder: Fischschwanz, Flosse, Auge und Maul (Knochen, Farbe, Zahn, Gold, Eisen, Glas, Obsidian, Edelstahl). Der Angelhaken darf als dekorativer Anhänger nicht fehlen. Dieses Motiv hat eine lange Tradition in der neuseeländischen Kunst und geht auf den Urgrund des Meeres bzw. auf Mauis legendären Angelhaken zurück, mit dem er die nördliche neuseeländische Insel aus dem Meer holte. Maui soll den Haken übrigens aus dem Kieferknochen seiner Oma geschnitzt haben …
Bildtext (l.): Alan Preston „5 Pins from the White Foreshore Serie 2005“. Foto: Galerie Handwerk. Hokuspokus plus Anstecknadeln - aus Muschelfragmenten wird Kunst!
Dass Muscheln ihren Zauber entfalten, dafür brauchen Künstler nicht viel, besonders harmonisch wirkt die Kombination von Silber und Muscheln. Zwei der bemerkenswertesten Stücke sind „Nuclear Chicken“, eine Kette aus Jakobsmuschel, Messing, Acryl, Email, Lack und Angelschnur von Moniek Schrijer und Alan Prestons fünf Anstecknadeln aus Silber und Muschelschalenfragmenten. Die im Südpazifik weit verbreiteten Paua-Muscheln werden in ihrer Heimat gerne als Aschenbecher genutzt, wie in München gezeigt, überhaupt: die Zigaretten.
Bildtext (r.): Frances Stachl „I would kiss you every day even though I know you are not good form“, 2013. Foto: Galerie Handwerk. Die Kippen-Kette regt Nichtraucher und Raucher zum Überlegen an ... was will uns die Künstlerin damit sagen?
Der Halsschmuck aus üppig gedrehten Zigarettenkippen der Künstlerin Frances Stachl und die aus Resin und Kippen komponierte Brosche ihrer Kollegin Becky Bliss und vor allem die „Elegant Anarchy Chain“ aus Messing, Kupfer, Silber und Zigaretten von Octavia Cook regen zu einer ganz neuen Betrachtungsweise von Tabakwaren an. Und haben uns irgendwie ebenso an J. Beuys erinnert wie der plattgedrückte Champagnerverschlussdraht als Anhänger, eine Idee von Mary Curtis. (Und wir haben den Draht von Tante Friedas Geburtstagschampagner zwar versehentlich zertreten, aber dann in den Restmüll! Passiert nie wieder!)
Begeistern wird Fans von Naturmaterialien bestimmt Owen Mapps „Spirit Guardian Bracelet“ aus eiszeitlichem Mammut-Elfenbein und „Life’s Flight Memento“, aus einem eiszeitlichem Walrosszahn geschnitzt. Sehr ausdrucksvoll ist Moniek Schrijers Kette „Civilization“ aus Manuka, Messing, Sterlingsilber, Oceanjaspis, Zitrin, Grauwacke.
Bildtext (r.): Peter Madden "Flies", 2005-2013. Foto: Galerie Handwerk. Zierliche Fliegen zum Bestaunen!
Zu den Glanzlichtern der Schau zählen Peter Maddens winzige „Fliegen“, bezaubernde, bunt bemalte kaum einen Zentimeter messende Flügelwesen, die man ganz genau betrachten sollte. Kate Newbys niedliche Sammlung gefundener und selbstgeschaffener Objekte „Most Naturally“ , drapiert auf handgewebter Baumwolle entzückt Naturen mit Sinn fürs Verspielte. Ihnen gefallen bestimmt auch Louisa Humphrys knallfarbige „Headdresses for Dancing“ (Kopfschmuck für den Tanz) aus Pflanzenmaterial, Strohhalmen, Plastik, Bändern.
Viele Frauen würden sich bestimmt gerne mit Emily Valentines „Kingfisher Brooch“ schmücken, einer aus Federn des Kingfisher-Vogels und anderen Materialien geschaffene Brosche oder mit Ilse-Marie Erls „Feather Brooch“, einer zart mit Federlinien gravierten Brosche aus Silber und Edelstahldraht.
Aber natürlich handelt es sich bei allen Ausstellungsstücken um Museumsstücke und Teilen von Sammlungen – es ist nur Anschauen „erlaubt“, aber davon profitiert jeder Besucher, denn seine Anschauung natürlicher Materialien verändert sich schon ein bisschen nach dem Rundgang. Halt, eines wollen wir noch erwähnen: Mary Curtis‘ „Green Blanket Necklace“ aus Wolle und oxidiertem Silber, und Elena Gees „Beach Pebble Collar“, eine Kette aus am Strand angespülten Steinchen - herrlich!
Die Ausstellung „Wunderruma Schmuck aus Neuseeland“ ist noch bis 17. April 2014 geöffnet. Der schöne und lehrreiche Katalog kostet Euro 18.00.
Doris Losch
Weitere Informationen:
www.hwk-muenchen.de/galerie
Titelbild: Emily Valentines Brosche "Kingfisher" . Foto: Galerie Handwerk. Die Brosche bezaubert vor allem die Damen.