Brikada - Magazin für Frauen

Brikada

Leuchtenburg mit der Foto-Sonderausstellung „Glut ist Geist“

28.07.2013

Der nackte junger Mann reckt seinen Körper der Sonne entgegen, die den reinen Morgenhimmel vergoldet. Die Arme hat er weit ausgespannt, so als umarme er gerade den gesamten Kosmos. „Lichtgebet“ nannte der Maler Hugo Reinhold Karl Johann Höppener, alias Fidus, sein 1908 entstandenes Bild, das bald zur Ikone der Jugendbewegung avancierte. Die Ideen, an denen sich die jungen Menschen um 1900 entzündeten, bringt das Motiv symbolisch zum Ausdruck: zurück zur Natur, Besinnung auf das Reine, Befreiung von allem was einengt - auch der Kleidung -, berauschendes Bewusstsein des eigenen Selbst.

Das „Lichtgebet“ begleitete die Jugendbewegung auf wichtige Stationen. 1913 wurde es beim „Ersten Freideutschen Jugendtag“ auf dem Hohen Meißner, einem Bergzug bei Kassel, international bekannt. Als Postkarte oder großformatiger Farbdruck hing es danach in zahlreichen Wohnzimmern von „Wandervögeln“" und das waren nicht wenige: 25.000 junge Menschen waren damals Mitglieder in dem Verein, mit dessen Urzelle 1901 die Welle der Jugendbewegung ins Rollen kam.

Aufbruch lies an allen Ecken und Enden des Kaiserreichs die Luft vibrieren, und es waren die Jungen, die gegen das überkommene rebellieren sollten wie Generationen nach ihnen die Hippies und 68er. Sie brachen aus der streng reglementierenden wilhelminischen Gesellschaft aus, suchten Sinn jenseits von Plüsch, staubiger Salonmoral und der Verzweckung durch Fortschritt und Industrialisierung. Angeregt durch die Ideale der Romantik flüchteten sie hinaus in die Stille der Natur, um ihren eigenen Lebensstil zu entwickelten. Zum Entsetzen der braven Bürger zogen sie in Gruppen singend durch die Landschaft, trugen sie bequeme Sandalen und hüllten sich in sackartig-weite Bekleidung, geschmückt mit bunten Abzeichen.

Am Abend saßen sie rund ums Lagerfeuer und stimmten mit der Gitarre alte Volkslieder an, deren Wurzeln sie in romantischer Verklärung in Mittelalter und Barock sahen. Diese ausgelassenen Wanderaktivitäten, die rund um Steglitz bei Berlin ihren Ausgang nahmen, wurden ab 1901 durch Karl Fischer mit der Gründung des Vereins "Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten e.V.", in eine juristische Form gebunden. Fischer orientierte sich am Ideal der fahrenden Schüler aus dem Mittelalter: die wandernden "Scholaren". Den Wanderführern verpasste er den Titel „Bachanten“, sich selbst ernannte er zum "Oberbachanten". Die Wandervogeljugend rekrutierte sich überwiegend aus Gymnasiastenkreisen, also der bürgerlichen Schicht, und war Jungen vorbehalten.

Fischers autoritärer Führungsstil führte bald zum Zerwürfnis mit den anderen Bachanten und 1904 zur Entzweiung des Vereins. Zahlreiche Abspaltungen und Neugründungen wie der „Steglitzer Wandervogel e.V.“, die „Altwandervögel“, der „Jungwandervogel“ oder der „Wandervogel. Deutscher Bund für Jugendfahrten“ entstanden. Einige der Gruppen verschrieben sich der Abstinenz von Alkohol und Nikotin, andere entscheiden sich für das gemischte Wandern von Jungen und Mädchen. Die Idee, in der Freizeit gemeinsam „auf Fahrt“ zu gehen, blieb ihr gemeinsamer Nenner.

Größere Ausflügen führten schon in den Gründerjahren bis in den Böhmerwald und nach Köln. Ihre Mahlzeiten bereiteten die Wandervögel unterwegs auf mitgenommenen Spirituskochern oder über offenem Feuer zu. Ihr Nachtlager schlugen sie in Scheunen, später auch in Zelten auf, was den geringen Geldmitteln und ihrem Leitbild eines möglichst einfachen Lebens entsprach.

1909 hatte der Lehrer Richard Schirrmann die Vision von einer eigens konzipierten Jugendherberge. Die herrenlose Burg Altena in Nordrhein-Westfalen wurde zum Treffpunkt und Ort der Übernachtung ausgebaut, ganz im Sinne der Burgenromantik. Eine Idee, die bald ganz Deutschland erfasste.

In Mitteldeutschland wurden wenig später die Burg Ludwigstein und die Leuchtenburg beliebte Wandervogel-Ziele. Letztere wurde 1920 Sitz der ersten Jugendherberge Thüringens - und sollte bald Schauplatz einer der wunderlichsten Erhebung der Zeit werden. Der kleinwüchsige Drechsler Muck Lamberty bezog mit mit 25 Anhängern seiner „Neuen Schar“ sein Winterquartier auf der Höhenburg, nachdem er singend und die „Revolution der Seele“ predigend durchs Land gezogen war und eine wahre Tanzeuphorie ausgelöst hatte. Der selbsternannte Messias und seine Anhänger erregten bald Anstoß wegen unsittlichen Verhaltens, unterschiedliche Mädchen seiner Schar bekamen nahezu zeitgleich Kinder von ihm, und wurde 1921 von der Leuchtenburg verwiesen. Zu dieser Zeit hatte die Jugendbewegung ihren Zenit bereits überschritten, ausgelöst durch die Zäsur des Ersten Weltkrieges: Die Gruppierungen wurden immer weiter aufgefächert und entfernten sich von den Idealen der klassischen Phase. Das Trennende zwischen ihnen wurde bald unwichtig, denn die Nationalsozialisten vereinnahmten Anfang der 30er Jahre die Jugendbünde durch Zwangsauflösung und Eingliederung in die Hitlerjugend. 1934 kam es zu einem letzten Treffen verschiedener Untergruppierungen aus Darmstadt, Köln und Hamburg auf Burg Waldeck, wo Robert Oelbermann, der Gründer der „Nerother Wandervögel“ scharfe Angriffe gegen die „braunen Affenhorden“ richtete. Wenig später wurde er verhaftet und starb sieben Jahre später im KZ Dachau.
(Quelle: © by CAB Artis 2013)

Weitere Informationen:
www.leuchtenburg.de

Bildtext: Sie können sich stundenlang im Tanzreigen drehen, die Wandervögel! Denn wie sie das Volkslieder wieder hervorgeholt haben, so haben sie auch den alten Volkstänzen wieder Leben gegeben an den Stätten, wohin sie gehören: nicht im Kronleuchtersaal, sondern unter der Linde, auf grüner Wiese!“ (Heinrich Emil Schomburg, 1917). Foto: Archiv der Deutschen Jugendbewegung (Foto: Julius Groß)