„Es gibt Fernseherlebnisse, welche die Verarbeitungsfähigkeit von Kindern übersteigen“, sagt Andrea Holler, wissenschaftliche Redakteurin am IZI auf der Veranstaltung „Medien und Kindergesundheit“, einem Symposium der Stiftung Kindergesundheit.
Rund eine Million Kinder unter zwölf Jahren sitzen in Deutschland z.B. am Samstag nach 20 Uhr vor der „Glotze“. Auch unter der Woche schauen sogar Sechs- bis Neunjährige nicht altersgerechte Sendungen wie „Grimm“ oder „The Walking Dead“ an.
Am meisten ängstigten Kinder sich, so Andrea Holler, vor „Wesen“ wie Hexen und ähnliche Spukgestalten, Bestien wie dem „Weißen Hai“ (ein Großvater schaute sich z.B. diesen Spielberg-Klassiker gemeinsam mit seinem Enkel an, weil er glaubte es handele sich um einen Tierfilm!), Monster im Kinderzimmer und Szenen, in den sich Menschen gegenseitig etwas antun wie Folter, Krieg.
„Vorschulkinder fürchten sich vor allem, was anders aussieht, sich bedrohlich anhört und bedrohlich handelt. Sie haben Angst verlassen zu werden.“
Dr. Maya Götz, Leiterin Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen und Prix Jeunesse International, rät allen Eltern dringend für den Fall, dass die Kinder etwas Angstmachendes oder Verstörendes gesehen haben, unbedingt darüber zu sprechen, das „Kind in den Arm nehmen, Szenen nachspielen“. Kein Kind sollte nach 20 Uhr fernsehen. „Zu dieser Zeit laufen fast ausschließlich Programme, die Kinder überfordern.“
Fernsehen macht aber nicht nur Angst, es kann auch dick machen. Sind Fernsehkonsum und elektronische Medien also wirklich Schuld an dicken Kindern und Jugendlichen? Nicht zwangsläufig, denn ein Kind, das liest, bewegt sich ebenso wenig wie ein Kind, das vor dem TV oder der Playstation sitzt.
Dabei ist es nicht nur der Bewegungsmangel, der dick macht, sondern auch der erhöhte Konsum von fettigen und zuckerhaltigen Lebensmitteln und Softdrinks während des Fernsehens, befeuert von der TV-Werbung.
Deutsche Eltern sind, man höre und staune, besonders kritisch. „Deutschland ist ein Land der Wenig-Seher“, sagt Prof. Dr. Norbert Neuss, Vorsitzender Stiftung Kindergesundheit, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährungsmedizin am Dr. v. Hauner’schen Kinderspital der Uni München. Eltern begrenzen den Medienkonsum. „In arabischen Staaten läuft der Fernseher eigentlich rund um die Uhr, in den USA dreimal so lange wie bei uns.“ Aber natürlich werde auch Deutschland immer multikultureller.
Zu 60 % sehen die Kinder in Deutschland alleine fern, im Durchschnitt 90 Minuten täglich. „Es kommt auch darauf an, was sie ansehen. Doch grundsätzlich sollte der Fernsehkonsum, so Prof. Dr. Neuss, auf eine halbe bis eine Stunde begrenzt werden.
Generell sollte das Kinderzimmer fernsehfreie Zone sein. “Ein Fernseher gehört nicht ins Kinderzimmer“, weil dies ein großer Risikofaktor für Übergewicht sei, betont Prof. Wolfgang Ahrens, Professor für Epidemiologische Methoden und Ursachenforschung an der Uni Bremen. Klare Ansage des Wissenschaftlers: „TV und PC erhöhen den Body Mass Index. Kinder, die viel fernsehen, werden fetter“. Was mit der TV-Werbung etwa für hochkalorische Softdrinks und für Süßigkeiten zusammenhänge. Da blieben Auswirkungen auf das Essverhalten nicht aus.
Hinzu komme, dass Kinder noch nicht zwischen redaktionellen Beiträgen und Werbung unterscheiden könnten. „Deshalb sollten Eltern ihre Kinder nicht zum Einkaufen mitnehmen. „Wenn die Eltern nicht das kaufen, was die Kinder wollen, sinkt die Vorliebe für diese Nahrungsmittel.“
Stimmt es, dass Digitales zu „digitaler Demenz“ und verringerter sprachlicher Kompetenz führt? Wird (nicht nur) die Jugend immer dümmer? „Im Gegenteil. Die Menschheit wird schlauer“, erläutert Prof. Dr. Markus Appel von der Uni Konstanz auf der Veranstaltung „Medien und Kindergesundheit“ und verweist auf den so genannten „Flynn-Effekt“. Nach dem neuseeländischen Politologen James R. Flynn benannte IQ-Tests zeigen, dass bis in die 90-er Jahre (es wurde nicht „nachjustiert!“) der Intelligenzquotient in Industrieländern stetig zunahm, bei Frauen deutlicher als bei Männern.
Aber wie gesagt, aktuelle Forschungen gibt es zumindest flächendeckend nicht. Verbote bewirken bei Kindern wenig, „besser ist es mit den Kindern über den Medienkonsum zu sprechen“. Kinder sagten, dass sie sich bei Gesprächen mit ihren Eltern über Internetnutzung wohlfühlten und ihnen Angst genommen werde. „Ein gutes Kommunikationsklima mit den Eltern verringert negative Auswirkungen und maximiert positive Effekte. Eltern müssen den Medienkonsum begrenzen, vor allem das ständige Simsen“, sagt Prof. Dr. Markus Appel.
Doris Losch
Weitere Informationen:
www.kindergesundheit.de
Titelbild: brikada