Denn sie schrieb der Angebeteten, die Ehefrau ihres Hausarztes, in den 80-er-Jahren Briefe voller Erinnerungen an ihre Kindheit in St. Petersburg, an wilde Jahre in Berlin, an die Greueltaten von Nazis und Rotarmisten, an Schiebereien und Hunger während der Nachkriegszeit.
Vera Lourié – eigentlich jüdisch Lur’e – wuchs in einem reichen Elternhaus auf. Kamen die Eltern spätabends aus dem Theater, ließen sie gerne um Mitternacht noch Kaviar und Champagner auffahren. 1998 starb die Dichterin in Berlin mit 97 Jahren bettelarm. Freunde mussten für ihr Begräbnis sammeln.
Die faszinierenden Lebenserinnerungen gewähren einen Blick in grundverschiedene Welten. Vera Lourié hatte ein bewegtes Liebesleben, pflegte Bekanntschaften und Freundschaften mit berühmten Mitgliedern der russischen Boheme - mit Ilja Ehrenburg, Andrej Belyi, Nikolaj Gumiljow und war bekannt mit Anna Achmatowa und Konstantin Waginow.
Im Berlin der 20-er Jahre existierten 86 russische Verlage, Dutzende russischer Zeitungen; mehr als 300.000 Emigranten aus dem zusammengestürzten Zarenreich waren nach Berlin geflohen, bereicherten die Kulturszene und feierten legendäre Feste.
In der Bundesrepublik der 60-er und 70-er Jahre war es still um Vera Lourie. Herausgeberin Doris Liebermann befragte die Dichterin erstmals als Zeitzeugin in den 80-er Jahren und publizierte einen Band mit ihren Gedichten.
„Briefe an Dich“ enthält neben den Briefen von und an Vera Lourié auch sehr lesenswerte Kurzgeschichten.
Brikada-Bewertung: Anschauliche Lektüre mit Niveau.
Doris Losch
Vera Lourié: „Briefe an Dich – Erinnerungen an das russische Berlin“, herausgegeben von Doris Liebermann, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 264 Seiten, 16-seitiger Bildteil, Euro 22.95, ISBN 978 3 895 6161 50, erschienen im Verlag Schöffling & Co., Frankfurt.
Weitere Informationen:
www.schoeffling.de