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Alice Frommholz: Das leuchtende Gästebuch

19.12.2006

Leute, die ein Gästebuch besitzen, haben den anderen, die keins besitzen, irgend etwas voraus. Ich habe zwar eine Wohnung, aber kein Gästebuch. Beschämt muss ich es eingestehen. Aber da meistens nur ich bei mir zu Gast bin, wäre es für mich höchst langweilig, wollte ich ab und zu mein Gästebuch aufschlagen, und fände nur meinen Namen darin. Nach meinem Namen kräht kein Hahn - er hat keinen pikanten oder prominenten Klang. Also, was will ich mit einem Gästebuch!

Doch ich kenne Gästebücher, die haben es in sich, die besitzen geradezu einen Liebhaberwert. Und manch Gastgeber "solcher" Gästebücher steht mit einer siegesbewussten Miene daneben, als wollte er damit sagen: "Sieh´ Dir nur ruhig an, was ich für Gäste aufzuweisen habe.”

Bedrückt, klein und hässlich setzt man dann seinen eigenen, ach so unscheinbaren Namen unter eine Berühmtheit, macht im Innern eine devote Verbeugung und kommt sich vor, als ob man frech am Glück genascht hätte.

Doch, neulich sah ich ein recht originelles Gästebuch. Es lag sozusagen offen vor der ganzen Welt da. Ich schlenderte durch die Strassen und blickte für kurze Sekunden einem Umzug zu. Kisten und Kasten - Bücher, Sessel, Tische warteten darauf, in irgend eine Wohnung geschleppt zu werden. Darunter leuchtete mir auch ein weisser Papierlampenschirm entgegen. Und darauf standen frank und frei, ungeniert kreuz und quer Namen, lauter Namen.

Also, solche Art von Gästebüchern gibt es nun auch. So wie man sich in einer fremden Wohnung verstohlen oder offentlichtlich die Bilder an der Wand betrachten kann, so geht man um den Lampenschirm herum, der durch abendliche Beleuchtung die Gäste wie die Motten heranlockt und reckt sich den Hals aus, um die Namen darauf zu entziffern. Namen - mit und ohne Schnörkel, dahingehauen oder zaghaft angedeutet. Namen, die Bände sprechen oder auch keine, die nicht einmal im Telefonbuch zu finden sind (auch eine Geheimnummer haben sie nicht). Und wird man dann selbst vom Gastgeber aufgefordert, eine noch freie Ecke auf dem Lampenschirm für den eigenen Namen entdecken zu wollen, bedeutet das, dass man nun auch zu dem festen Gästekreis gehört.

Doch wollte ich dabei an meinen Lampenschirm zu Hause denken, hätte ich viel zu tun, um dieses grosse Ungetüm mit meiner eigenen Gästeunterschrift zu belasten. Und abends unter dem Schein der Stehlampe würde dann mein Name tausendfältig auf mich herabfallen und das sonst so auf mich freiblickende Licht beschatten - und das wäre mein Name mir eben nicht wert. Drum, lassen wir diese leuchtende Gästebuch-Idee kein leuchtende Beispiel sein, sondern eine originelle Einmaligkeit.

Alice Frommholz (1910 – 1962)
Sie war Mitarbeiterin verschiedener Tageszeitungen in Berlin und Hannover, darunter auch bei der "Hannoverschen Presse". In ihren gefühlvollen Feuilletons, Betrachtungen und Gedichten zeigte sie ihr bemerkenswertes Talent und sensibles Gespür, kleinen Dingen des Alltags eine besondere Bedeutung zu geben.