Ich habe das entsetzliche Pech, immer gerade die Dinge schön zu finden, die die teuersten sind. Komme ich mit drei Mark und fünfzig in ein Geschäft und möchte etwas erstehen, tippe ich unter Garantie auf etwas, das meinen Etat übersteigt und ihn sprengen würde. Ich schraube nach Möglichkeit meine Ambitionen und Gelüste auf ein Mindestmaß herab. Ich droßle meinen Geschmack, ich bezähme ihn wie einen wilden Hund. Aber doch verfalle ich immer wieder dem Zug zum Teueren. Damit will ich nicht sagen, daß das Teuerste immer das Geschmackvollste ist.
Doch mein Vater sagte stets: "Das Leben ist teuer. Man kann´s auch billiger haben, doch dann macht es keinen Spaß." Nun, im Innern muß ich meinem Vater eine gewaltige Ecke recht geben. Denn es ist ganz schön und gut - das mit dem Begnügen. Die Satten schwärmen für Erbsensuppe - und die Hungrigen möchten lieber die Speckseite angeln.
Ich bin nicht mehr im Backfischalter, da jedes Fähnchen kleidet. Auch ein Kartoffelsack hätte an meiner Jungmädchenfigur "gesessen". Aber heute - wenn ich einigermaßen gut angezogen und gut aussehen möchte, müßte ich wohl oder übel zum Teueren greifen. Qualität ist in meinem Alter das beste Material.
Aber ich schiele auch öfter nach einer Königinnenpastete oder nach einem appetitlich garnierten Sülzkotelett. Doch bei meinem Haushaltsgeld für einen Sechs-Mann-Mittagstisch bleibt es notgedrungen öfter bei der Erbsensuppe.
An den Schaufenstern für Wohnkultur klebt mein Blick - und siehe da - wenn ich ein Preisschild in schiefer Augenhaltung erwische - was entziffere ich? Eine atemberaubende Zahl.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, als über mich zu lachen. Mein Bankkonto ist nicht gerade stets überzogen, aber es ist kurz nach dem Ersten bar jeglicher Barschaft. Es macht mir auch heute noch Mühe, einigermaßen würdevoll über die monatlichen Runden zu kommen. Schließlich bedeuten Illusionen kein greifbares Guthaben - und Wünsche, die am Himmel hängen, bleiben dort oben hübsch kleben. Aber es sind immerhin Wünsche von Qualität. Das gibt mir Trost: ich gehöre zu den Geschmackvollen, wenn ich es auch kaum beweisen kann.
Vielleicht belehrt mich die Zeit eines Besseren. Doch je älter ich werde, desto mehr sehe ich auf Gediegenheit, mit Eleganz gepaart. Ich bin mehr und mehr für "Edelware" - doch meistens nur im geheimsten Winkel meines Herzens. Praktisch gesehen, greife ich zur zweiten Wahl. Ich muß sie wohl oder übel in Kauf nehmen. Unglücklich bin ich deshalb nicht, denn es gibt noch Wichtigeres als "Edelware", zum Beispiel: vier gesunde Kinder.
Alice Frommholz
Alice Frommholz (1910 – 1962)
Sie war Mitarbeiterin verschiedener Tageszeitungen in Berlin und Hannover, darunter auch bei der "Hannoverschen Presse". In ihren gefühlvollen Feuilletons, Betrachtungen und Gedichten zeigte sie ihr bemerkenswertes Talent und sensibles Gespür, kleinen Dingen des Alltags eine besondere Bedeutung zu geben.
Hintergrund
Feuilleton - ein Blick ins Lexikon verrät, dass es sich hier bei diesem Genre "um den kulturellen Teil in einer gedruckten oder Internetzeitung" handelt und damit im Gegensatz zum politischen, wirtschaftlichen, lokalen oder Sportteil steht. Feuilleton umfasst Berichte und Nachrichten aus dem Kultur- und Geistesleben: angefangen von Kritiken in Hörfunk, Fernsehen oder Theater und reicht bis hin zu Buchbesprechungen und Glossen, zu Abhandlungen und Reflexionen über zeitgenössisches Leben. Aber auch Gedichte, Aphorismen, Sentenzen oder erzählerische Fortsetzungsromane werden unter dem begrifflichen Dach "Feuilleton" geführt.
Im engeren Sinne versteht sich das Feuilleton als geistreich pointierte Betrachtung, die zur Nachdenklichkeit anregt. Der Autor reflektiert scharfsinnig, emotional, witzig, ironisch oder amüsant, über oftmals alltägliche Begebenheiten, die durch diese besondere Wahrnehmung bedeutsam erscheinen.
brikada will das "Feuilleton im engeren Sinne" neu beleben und veröffentlicht in lockerer Folge Beiträge von Schriftstellerinnen, Lyrikerinnen und Buch-Autorinnen. bk